8. KON SERVATION

Noch vor sechzig Jahren waren die meisten Tempel in Angkor mit Bäumen und Sträuchern bedeckt, und viele Bauten hatten in ihren Höfen eine ansehnliche Humusdecke. Die Reinigung und Instandstellung dieser Hochbauten ist das Werk der «Conservation», einer Institution der «Ecole française de I'Extreme-Orient, Paris». Dieses Baudepartement wurde von Frankreich finanziert, und im Laufe der Jahre summierten sich die Zuwendungen zu einem ansehnlichen Betrag, denn es wurden oft tausend und mehr Arbeiter beschäftigt. Heute, nachdem K.ambodscha ein eigenes Königreich geworden ist, kommt dieser Staat für die Arbeiter und die Materialkosten auf. Die Leitung sowie der Maschinenpark werden nach wie vor von Frankreich gestellt.

Man macht sich keine Vorstellung, wie viel Arbeit und Mühe es braucht, um eine solche einzelne Steinruine vor dem Untergang zu retten. Zuerst wird gerodet und alle Erde weggeschafft, die sich im Laufe der Jahrhunderte auf und neben dem Tempel ansammelte. Oft ist das Fundament zwei bis drei Meter mit Erde zugeschüttet; dann liegen Tausende von Steinblöcken herum, die einst hoch oben zu einem Bauteil gehörten. Nun beginnt die Arbeit der Architekten, die den Grundriß dieser Bauten ausfindig zu machen versuchen, Pläne zeichnen sowie die Seitenansichten rekonstruieren. Ist das Vorhandene noch auf gutem Fundament, was selten zutritt, so kann nun mit dem Wiederaufbau begonnen werden. In den meisten Fällen kommt nur die Erstellung eines neuen Fundamenten in Frage. Der ganze Bau wird Stein für Stein erst abgetragen. Jeder Block erhält eine fortlaufende Nummer sowie ein Zeichen, zu welcher Schicht er gehört. Sind alle Steine beseitigt, so wird ein solides Fundament gebaut und Block für Block wieder zurückversetzt. Zusammengefallene Baukörper werden mit viel Geduld +und Talent neu aufgebaut. So entstehen wieder Tempel, Brücken, Terrassen und andere Bauten -- und sind gerettet für die nächsten Jahrhunderte.

Dieses Ab- und Aufbauen mit neuem Fundament wird «Anastylose» genannt. Heute verwendet man Kranwagen, die mit Leichtigkeit Blöcke ohne Gefahr versetzen können; doch noch oft wird ein Bau nach altem Khmer-System mit einem Bambusgerüst versehen wie vor tausend Jahren. Kein Europäer muß den Kambodschanern, die hier beschäftigt sind, Anleitungen für die Abtragung des Tempels geben. Sie wissen, wie stark die Gerüste sein müssen, sie arbeiten nach demselben Prinzip Me ihre Vorfahren. Unabgeklärt bleibt: wie wurden vor achthundert Jahren die großen Blöcke hochgezogen? Vielleicht sind dabei Elefanten verwendet worden, hat doch ein solches Riesentier vier bis sechs Tonnen Gewicht, so daß es mindestens eine Tonne hochziehen kann. Da die Khmer ja Hunderte von Elefanten zur Verfügung hatten, so wäre das Hochziehen eines Blocks von zehn Tonnen nur ein Problem des Seiles und des Gerüstet gewesen. Auch war den damaligen Bauarbeitern der Hebelarm bekannt. Viele Steine wurden mit einem einseitig aufgehängten Balken versetzt, gleich einer Stabwaage. So konnte mit wenig Kraft das große Gewicht auf der andern Seite hochgehoben werden. Ruinen, die nur schwach gelitten haben und deren Steine kaum verschoben sind, werden mit Zementinjektionen gefestigt. Mürber Stein, ganz besonders Reliefs mit Zeichen von Wetterschäden, werden chemisch behandelt, um dem Gefüge wieder Halt und Härte zu geben. So wird Tempel um Tempel mit vielen Kosten und viel Mühe behandelt und renoviert, um den Zerfall auf Jahrhunderte hinauszuschieben.

Ein weiteres Gebiet der Konservierungsarbeiten sind die Straßen und Wassergräben. Viele Wege wurden neu angelegt und sind heute asphaltiert. Die verschlammten Kanäle sind längst ausgetrocknet; sie müssen neu ausgegraben und deren Ufer gesichert werden. Tausende von Kubikmetern Erde werden ausgebaggert und fortgeschafft. Man hofft, einige dieser Wassergräben wieder füllen zu können, um den früheren Eindruck der künstlichen Weiher und Badestellen herzustellen.

Stark zusammengestürzte Bauten, die praktisch nur von Wurzeln zusammengehalten werden, läßt man in ihrem jetzigen Zustand. Der Besucher hat hier Gelegenheit, den gigantischen Kampf zwischen Menschenwerk und Natur mitzuerleben.

Es sind schon Stimmen laut geworden, daß man alle Bauten in dem Zustande belassen sollte, wie sie aufgefunden wurden; doch ist dazu zu bemerken, daß innen kurzer Zeit Wald und Wind Sieger wären und Schutthügel machen würden. Will man diese Tempel retten, dann sind gesunde Fundamente erforderlich, auf welchen die Bauten ohne Wurzeln aufgerichtet werden können. Die immense Arbeit der Architekten, erst die Pläne zu erstellen, auf welchen jeder Stein mit seiner ursprünglichen Lage eingezeichnet wird, ist bewundernswert. Sämtliche Pläne, welche im Laufe von dreißig Jahren entstanden sind, waren im Hause der «Conservation» in Siem Reap aufbewahrt, doch im letzten Weltkrieg, während der japanischen Besetzung, ist alles ein Raub der Flammen geworden.

Ein drittes Gebiet der «Conservation» sind die Ausgrabungen alter Kulturzeugen sowie die Rekonstruktion der Geschichte der Khmer. Sämtliche Fundgegenstände werden untersucht und bestimmt, Plastiken, die aus der Erde zum Vorschein kommen, auf ihren künstlerischen Wert geprüft und wenn möglich an ihrem ursprünglichen Standort wieder aufgestellt oder im Museum in Phnom Penh untergebracht. Zudem werden alle Forschungsberichte in den Jahresrapporten der «Ecole française de I'Extrëme- Orient» in Paris veröffentlicht. Auch haben die meisten Konservatoren und Architekten ihre jahrelangen Studien in Buchform publiziert. Mit zweien dieser Forscher kam ich schon vor Jahren in näheren Kontakt. Bereits im Jahre 1922 machte ich die Bekanntschaft von Professor Dr. Coedès. Er ist ein hervorragender Kenner der Khmer-Kultur und heute noch in Paris als Wissenschafter tätig. Zwei Jahre später traf ich mit dem Konservator Henri Marshal zusammen. Auch ihn sah ich wieder gesund und rüstig letztes Jahr in Angkor. Er wird demnächst seinen neunzigsten Geburtstag feiern können. Groß ist sein Ansehen im Lande. Er durfte es erleben, daß eine der wichtigsten Straßen in Siem Reap «Avenue Henri-Marshal» getauft wurde. Seit Beginn der Ausgrabungen in Angkor sind zehn Konservatoren dort tätig gewesen. Heute leitet M. Bernard-Philippe Groslier das «lnstitut de Conservation». Er wandert in den Fußstapfen seines Vaters, der vor Jahren ebenfalls Konservator in Angkor war. «Auch hier wird alles demontiert, um her- nach auf einer armierten Betonwand neu aufgebaut zu werden.»